
Christian Kalbitz begann im Frühjahr 2021, also mitten in der Corona-Zeit, sein ehrenamtliches Engagement bei der Bahnhofsmission Stuttgart. Hier berichtet er, wie es dazu kam und was seine Aufgaben bei der Bahnhofsmission sind:
C.K.: Dass ich schon mal etwas von der Existenz einer Einrichtung mit dem Namen „Bahnhofsmission“ gehört hatte, habe ich meiner Mutter zu verdanken. Wenn sie uns in Stuttgart besuchte, nutzte sie, aus Hamburg kommend den Umsteigeservice der Bahnhofsmission. Manchmal, so sagte sie, sei die Umsteigehilfe der Bahnhofsmission das Einzige, was auf Ihrer Reise von Hamburg nach Stuttgart funktioniert hätte.
Bis März 2021 habe ich als Ingenieur bei einem international tätigen Maschinen- und Anlagenbau-Konzern in auftragsführender Funktion gearbeitet. Dabei gehörten Dienstreisen rund um den Globus zum täglich Brot. Eigentlich erstaunlich, dass bei diesen vielen Dienstreisen immer alles glatt lief, bis auf einmal:
Ich musste zu unserem Kunden nach Mexiko, nach San Luis Potosí ca. 400 km nördlich von Mexiko City. Also in Frankfurt rein ins Flugzeug, in Mexiko City auf dem internationalen Flughafen gelandet, Pass- und Zollformalitäten erledigt und mit dem Shuttletransfer zum Inlandsflughafen, dort in den Inlandflug einchecken und zack… schon ist man da. So war der Plan.
Ich hatte gelesen, dass der Shuttletransfer in Mexiko City aus einer Art S-Bahn bestand, die immer zwischen internationalem und Inlandsflughafen hin und her pendelte. Also nichts wie hin zum Bahnsteig und auf den nächsten Shuttle warten. Komisch, keine Menschenseele wartete mit mir am Bahnsteig, ich war mutterseelenallein. Ich wartete und wartete. Zum Glück erklärte mir ein freundlicher Wachmann, dass dieser Shuttle seit ca. 3 Wochen ausgefallen ist, Termin für die Wiederinbetriebnahme unbekannt. Klar, so etwas weiß man doch, wenn man von Frankfurt losfliegt… Natürlich wusste ich das nicht. Der Wachmann half mir mit meinem Gepäck zum Bus-Transfer, der ersatzweise eingerichtet wurde. Mit hängender Zunge erreichte ich meinen Inlandsflug unmittelbar vor dem „gate close“. In diesem Augenblick wurde mir klar: Wenn ich irgendwann einmal Zeit habe, möchte ich Reisenden, die irgendwie Unterstützung brauchen, genauso behilflich sein, wie der freundliche Wachmann in Mexiko-City.
Und die Gelegenheit dazu bot sich schneller, als ich dachte. Seit Anfang April 2021 nehme ich an der Vorruhestandsregelung meiner Firma teil, und seit dieser Zeit bin ich ehrenamtlicher Mitarbeiter der Bahnhofsmission. Und sollte nun bei uns in Stuttgart einmal der natürlich völlig unwahrscheinliche Fall eintreten, dass mit der Bahn etwas nicht funktioniert, dann sind eben wir von der Bahnhofsmission zur Stelle, um hilfesuchende Reisende zu unterstützen, so wie damals der Wachmann bei mir in Mexiko.
Eine tolle Motivation! Und was macht ihr in der Bahnhofsmission sonst noch?
Die Bahnhofsmission ist eine Anlauf- und Weitervermittlungsstelle. Auf Wunsch geben wir unseren Gästen Kaffee, Tee und Kleinigkeiten zu essen aus. Wir informieren soweit wie möglich über Zugverbindungen, wir begleiten Gäste zum Zug oder vom Zug zu Bus und Taxi. Wir informieren falls nötig über Sprechzeiten von Ämtern und Behörden, Notfallübernachtungen etc. Weiterhin bieten wir Gästen, die das möchten, an, sie bei Bedarf auf Ihrer Zugfahrt zu begleiten (Bahnhofsmission Mobil).
Was gefällt Dir an Deinen Aufgaben besonders?
Ich ziehe mir gern unsere blaue Weste über und laufe eine Runde durch den Bahnhof um zu schauen, ob es Reisende gibt, denen ich irgendwie behilflich sein kann. Irgendetwas gibt bei diesen Rundgängen immer zu tun. Dabei fällt mir auf, dass ich als Mitarbeiter der Bahnhofsmission, erkennbar an der hellblauen Weste, auffallend freundlich von anderen Mitarbeiter*innen und Organisationen wie z.B. der Bundespolizei, dem Auskunftspersonal, Sicherheitspersonal und Kundenbetreuer*innen der Deutschen Bahn, Rettungswesen etc. gegrüßt werde. Vermutlich liegt das daran, dass all diese Berufsgruppen wissen, dass wir alle am gleichen Strang ziehen und wir im Grunde genommen im gleichen Boot sitzen. Wir alle wollen das Reisen immer etwas sicherer, menschlicher und freundlicher gestalten. Dieses Wissen um das Eingebettetsein in ein großes Ganzes gefällt mir besonders.
Gibt es ein Highlight, ein besonderes Erlebnis aus den letzten Monaten?
Wir führen immer wieder Umsteigehilfen für unsere sehbehinderten Gäste durch. Dabei holen wir die Gäste vom Zug ab und führen sie dann durch den Bahnhof zum Bus, zur U-Bahn zum Taxi etc. In Gesprächen mit diesen Gästen fällt auf, wie zufrieden die allermeisten blinden Gäste sind. Sie sind sich ihrer Einschränkung mehr als bewusst, haben gelernt, das in ihr Leben zu integrieren und sind, soweit wir das beurteilen können, mit ihrem Leben nicht unzufriedener als Unsereins.
Dabei hat mich das folgende Erlebnis besonders beeindruckt: Ich musste einem unser blinden Gäste erklären, dass wir beide jetzt ein paar Schritte zurück treten müssen, weil jemand im Rollstuhl an uns vorbei fahren will. Der Rollstuhlfahrer konnte passieren und dann sagte unser Gast zu mir: „Das muss aber traurig sein, nicht laufen zu können. Der Rollstuhlfahrer tut mir richtig leid.“
Im ersten Augenblick war ich platt: Da ist jemand, der nichts sehen kann, in der Lage, seine Situation zu relativieren und trotz seiner eigenen Behinderung immer noch Mitgefühl für Andere zu artikulieren. So etwas hätte ich nicht für möglich gehalten.
Lieber Christian Kalbitz, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

Im Bereich Mosaik schaffen sprachliche, kulturelle und künstlerische Aktionen Raum für Austausch und Begegnung. Eines der vielen Mosaiksteinchen ist der Club International, dessen Programm von einer Gruppe Ehrenamtlicher gestaltet wird. Einer von ihnen, Alejandro, erzählt uns von seinen Erfahrungen.
Kannst du dich kurz vorstellen und erzählen, was du bei uns im vij machst?
Ich bin Alejandro und komme aus Guatemala. Im Moment arbeite ich im vij, aber früher kam ich nur als Besucher. Ich habe den vij vor drei Jahren durch meinen Bruder kennengelernt. Er hat mich hierher eingeladen und dann bin ich gekommen und habe hier viele Leute kennengelernt. Viele meiner Freunde habe ich durch den Club International kennengelernt.
Und inzwischen bist du selbst Ehramtlicher bei uns! Erzähl doch mal, was ihr heute Abend hier macht.
Heute haben wir das Sprachcafé. Das bedeutet, dass wir uns mit anderen Leuten treffen und über verschiedene Themen reden. Und wir wollen auch ein paar Spiele spielen, damit wir uns kennenlernen. Weil es ist auch so, dass wir viele Leute, die herkommen, nicht kennen. Deswegen möchten wir auch alle Leute kennenlernen.
Warum kommen die meisten Menschen denn in den Club International?
Vor allem um neue Leute kennenzulernen und Freunde in Stuttgart zu finden. Und jetzt während Corona, wenn vieles zu ist, kann man sich wenigstens hier ein bisschen treffen. Natürlich mit Abstand und Masken, aber es ist auch schön eine Person wieder zu sehen. Nicht nur alles am Computer.
Was war denn dein Highlight im Club International oder generell im vij?
Bevor Corona kam, haben wir einen Ausflug zum Schloss Neuschwanstein gemacht und das Schloss fand ich mega schön. Also der Weg war schon ziemlich lang, aber es hat sich auf jeden Fall gelohnt.
Vielen Dank für deine Antworten. Wir hoffen, dass du noch ganz lange dabei bleibst!

Bahnhofsmission Heilbronn – Michaela Gaa
Wo im VIJ engagierst du dich ehrenamtlich, was sind deine Aufgaben?
Ich engagiere mich ehrenamtlich in der Bahnhofsmission in Heilbronn. Meine Aufgaben dort lassen sich in zwei Worten zusammenfassen: Da sein.
Im Detail bedeutet das, dass ich während meines Dienstes im Bahnhof präsent bin, um dort zum einen Reisenden bei Fragen oder Schwierigkeiten weiterzuhelfen, zum anderen um Kaffee und Kekse zu verteilen, was besonders in der kalten Jahreszeit sehr gut ankommt. Außerdem kommen Gäste zu uns in die Bahnhofsmission, denen ich Getränke, Suppe, bei Bedarf Kleidung oder einen Schlafsack, Hilfe mit Formularen oder einfach nur meine Zeit geben kann. Zudem betreuen wir auch ein Bücherhäuschen an Gleis 1.
Wie bist du auf den VIJ und dieses Engagement gekommen?
Nach einem sozialen Jahr als Streetworker in Thailand habe ich auch in Deutschland eine Möglichkeit gesucht, unkompliziert Menschen zu begegnen, die ich in meinem Alltag sonst nicht treffen würde und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Was gefällt dir bei deinen Aufgaben besonders?
Am besten gefällt mir in der Bahnhofsmission, dass man zu Beginn eines Dienstes nie weiß, was auf einen zukommen wird. Das Leben ist einfach so bunt und vielfältig! Ich liebe es, mir von Menschen ihre Lebensgeschichte erzählen zu lassen und ein ganz kleiner Teil davon zu werden.
Gibt es ein „Highlight“, ein besonderes Erlebnis?
Jeder Tag in der Bahnhofsmission hat seine eigenen Highlights. Besonders schön finde ich es, wenn sich am Bahnhof Menschen auf das Abenteuer Horizonterweiterung einlassen. Neulich habe ich gerade einem wohnsitzlosen jungen Mann auf dem Bahnhofsvorplatz einen Kaffee eingeschenkt, als mich eine gut gekleidete ältere Dame ansprach, die eine Frage zu ihrer Zug-Verbindung hatte. Am Ende ging ich weiter und lies die beiden in einen angeregten Austausch vertieft zurück. Ich wüsste nicht, an welchem anderen Ort so etwas passieren könnte.
Was empfindest du als Herausforderung?
Manchmal ist es schwierig, wenn Menschen, die normalerweise regelmäßig zu uns kommen oder die ich oft am Bahnhof sehe, auf einmal nicht mehr da sind und ich keine Möglichkeit habe herauszufinden, was mit ihnen passiert ist und ob es ihnen gut geht.
Was wünschst du dem VIJ?
Weiterhin alles Gute für die tolle Arbeit!
Dezember 2021

Im Bereich Mosaik – Kultur und Begegnung schaffen sprachliche, kulturelle und künstlerische Aktionen Raum für Empowerment, Austausch und Begegnung. Eines der vielen Mosaiksteinchen ist die Band mit dem Namen MUSAik - eine Verbindung der Worte Musik, Muse und Mosaik. Die Band, die durch den Treff Mosaik entstanden ist, schreibt und komponiert selbst und lässt die vielfältigen kulturellen Einflüsse der Teilnehmer*innen in ihre Lieder einfließen. Bandmitglied Mustafa erzählt uns von seinen Erfahrungen:
Kannst du dich kurz vorstellen und erzählen, was du bei uns im vij machst?
Mein Name ist Mustafa, ich bin 24 Jahre alt und seit 3 Jahren in Deutschland. Ich habe seit ungefähr über einem Jahr eine ehrenamtliche Tätigkeit hier im vij im Bereich Mosaik. Ich helfe den Leuten, die Anfänger sind, beim Deutsch lernen und manchmal übersetze ich für diese, wenn sie was brauchen. Und ich bin auch in der MUSAik Band Mitglied und spiele Saz.
Und wie hast du damals vom vij erfahren?
Mein Vater kommt ab und zu ins Mosaik und ich bin durch ihn 2018 einmal hergekommen. Damals konnte ich kein Deutsch und habe das hier ein bisschen gelernt. Ein anderer Ehrenamtlicher hatte auf WhatsApp ein Video von mir gesehen, wo ich Saz spiele und dann wollte er unbedingt, dass ich herkomme und mit der MUSAik Band was mache. Und ja… ich bin einfach gekommen und dann war ich dabei.“
Was hast du mit der Band schon erlebt?
Wir hatten ein Konzert beim Sommerfestival der Kulturen und es waren viele Leute da. Außerdem hatten wir Auftritte beim Stutt:Ard Festival, beim Theater Rampe und an vielen anderen Orten.
Richtig toll! Hoffentlich dürft ihr bald wieder live spielen.
Ja, das hoffen wir auch!
Was würdest du in der Zukunft noch gerne umsetzen?
Also für unsere Band haben wir immer neue Ideen. Aber wegen Corona konnten wir nicht mehr weitermachen. Wir hoffen, dass es bald wieder möglich ist.
Interview vom Mai 2021

Gründungsaufgaben des Vereins: Heime für ortsfremde und ausländische junge Frauen
Mädchenpension – Jugendwohnheim – Heimat auf Zeit
Eine der wichtigsten Aufgaben nach dem Zweiten Weltkrieg war für den Verein die Unterbringung von ortsfremden und ausländischen jungen Frauen. Die Wohnungsnot war groß und die Zwangsbewirtschaftung sorgte für Wohnraum, aber nicht für junge Menschen, die unter 21 Jahren waren. Trotzdem kamen viele zur Ausbildung nach Stuttgart und suchten eine „Heimat auf Zeit“. Die Evangelische Jugendsozialarbeit / EJAD wurde ins Leben gerufen und mit dieser Hilfe wurden Heime gebaut und pädagogisches Personal durch Fortbildung und berufliche Begleitung geschult. Die Begleitung im Bereich Umbruch Schule / Beruf erhielt mit diesen Einrichtungen über Jahre einen hohen Stellenwert. Der Erwerb von Selbstbewusstsein, beruflicher Orientierung und Mobilität waren in der Nachkriegszeit wichtige Kompetenzen.
Der „Freundinnen-Verein“ hatte sein Haus in der Moserstraße 12 im Dritten Reich verloren und konnte mit staatlicher Hilfe 1952 sein Heim in der Moserstraße 10 wieder errichten. Das Heim bot 104 Mädchen in 2- bis 4-Bett-Zimmern Platz und beherbergte die Büros des Landesvereins der Bahnhofsmission und der Au-Pair-Vermittlung. Im Erdgeschoss war ein Kindergarten, und ein Mittagstisch für bis zu 80 Menschen aus den Büros der Umgebung wurde angeboten, was zur Ergänzung der notwendigen Eigenmittel beitrug.
Ein Zuhause gefunden
Brigitte Pidde zog als Brigitte Höflacher 1962 mit ihrer Schwester Gisela in die Moserstraße 10 in ein 4-Bett-Zimmer ein. Beide hatten einen Ausbildungsplatz bei der Stadt Stuttgart gefunden und waren froh über die ortsnahe Unterbringung. Sie waren lebendig, fröhlich und versuchten, ihren Lebensraum zu erobern. Mit 18 hatten sie das Glück, immer wieder einen Hausschlüssel zu erhalten, was den Vorteil einbrachte, nicht immer punkt 22 Uhr im Wohnheim sein zu müssen. Das Wohnen im 4-Bett-Zimmer war ein Lernfeld für Gemeinschaft und Konfliktbewältigung. So gab es Freundschaften, die oft bis zum Lebensende hielten. Trotz aller Regelungen bei 104 jungen Frauen erinnert sich Brigitte an Heimabende, Tanzfeste, die Weihnachtszeit mit Wichteln und das jährliche „Heimchen-Treffen“ im Advent, wo man dann schon auch mal seinen Bräutigam oder Mann vorstellte. Gerhard Pidde erinnert sich noch sehr genau, dass er nach der Kaffeezeit dieses Haus wieder verlassen musste.
Und so sagte Brigitte Pidde, dass dieses „Heim“ für sie zur Heimat geworden ist.
Mit 21 Jahren zog sie aus und arbeitete bei Daimler in der Direktion. 1970 wurde geheiratet.
Etwas zurückgeben
Bald kam eine kleine Tochter zur Welt und Brigitte blieb zuhause. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf war damals keine Option. Sie hatte im „Freundinnen-Verein“ viel Frauenengagement gesehen und daran wollte sie teilhaben und „etwas zurückgeben“. Dies erkannte die Vorsitzende Frau Ruth Braun (1958 – 1992) und machte Brigitte Pidde sofort zur Schriftführerin in ihrem Vorstand. Brigitte Pidde wurde Mitglied, besuchte den Mitgliedernachmittag und beteiligte sich am Bastelkreis und der Organisation für den Basar. Ihre besondere Spezialität war der Verkauf von gespendetem Schmuck. Sie erinnert sich gerne an eine Frau, die ihr bei einer Veranstaltung mit den Worten „den haben Sie mir verkauft!“ auf ihren Schmuck hinwies.
Von den Frauen viel gelernt…
Brigitte Pidde wurde vom Verein zu einem Seminar der Ev. Frauenarbeit Württemberg für „Nicht berufstätige Mütter mit ihren nicht schulpflichtigen Kindern“ nach Langenburg geschickt. Hierbei lernte sie die ganzen Möglichkeiten von Frauenengagement der Frauenarbeit und Erwachsenenbildung kennen. Brigitte Pidde besuchte Seminare und gab bald selbst Kurse zur Selbstverwirklichung und nahm andere ehrenamtliche Tätigkeiten auf, wie z.B. sechs Jahre Hospizdienst.
Brigitte Pidde war als junge Frau Bewohnerin, inzwischen ist seit über 40 Jahren Mitglied des VIJ Sie schätzt die Möglichkeit der Weiterentwicklung, das Engagement von Frauen für Frauen und die Weltoffenheit und Akzeptanz ausländischer Menschen.
Gespräch von Hanne Braun mit Brigitte Pidde, August 2021

Die Migrationsberatung unterstützt Menschen mit Migrationshintergrund, die älter als 27 Jahre sind und einen auf Dauer angelegten Aufenthalt in der Bundesrepublik besitzen, sich in Deutschland gut einzuleben und sich in der institutionellen Landschaft leichter zurechtzufinden. Hauptziel der Migrationsberatung (MBE) ist es, den sozialen, beruflichen und sprachlichen Integrationsprozess von erwachsenen Migranten*innen zu begleiten und zu fördern.
Wie eine solche Beratung aussehen kann und mit welchen Themen man sich an die MBE wenden kann, zeigen wir Ihnen im Folgenden anhand eines Interviews mit einem unserer Klienten auf.
1. Aus welchem Land bist du und seit wann bist du in Deutschland?
Ich komme aus dem Iran und bin seit Dezember 2015 in Deutschland.
2. Woher kennst du die MBE?
Ich kenne die Migrationsberatung von der Sprachschule. Eine Beraterin der Migrationsberatung hat sich in meinem Sprachkurs vorgestellt und uns eingeladen bei Problemen oder Fragen in die Beratung zu kommen.
3. Mit welchen Problemen bist du schon zur MBE gekommen?
Ich bin schon mit verschiedenen Problemen zur MBE gekommen. Zum Beispiel, wenn ich die Briefe vom Jobcenter nicht verstanden habe und nicht wusste, was ich antworten soll. Einmal wollte ich meinen Handyvertrag wechseln und die MBE hat mir dabei geholfen. Als ich in eine andere Wohnung umgezogen bin hat mir die MBE auch geholfen mein Beitragskonto der Rundfunkgebühren umzumelden und mich im Rathaus umzumelden. Auch bei der Bewerbung auf eine neue Arbeit hat mir die MBE geholfen.
4. Wie hat die MBE dir dann geholfen?
Die Beraterin der MBE hat mir zum Beispiel die Briefe vom Jobcenter erklärt und mir geholfen E-Mails und Briefe an das Jobcenter zu schreiben. Sie hat mir auch geholfen eine Arbeit zu suchen: Wir haben zusammen geschaut was ich alles brauche für den Job. Dann haben wir auch zusammen eine Bewerbung geschrieben. Ebenfalls hat mir die MBE geholfen mit dem Jobcenter über meinen Wunsch einer Umschulung zu sprechen.
5. War die Sprache in der Beratung ein Problem? Hast du immer alles verstanden?
Manchmal ist die Sprache ein Problem weil ich manche Worte noch nicht kenne. Aber die Beraterin erklärt mir immer diese Worte und dann verstehe ich doch alles.
6. Wie findest du die MBE? Was findest du gut? Was würdest du anders machen?
Ich finde die MBE sehr gut weil die Beraterin allen hilft und sie sehr nett ist. Ich kann ihr Deutsch auch sehr gut verstehen und sie erklärt mir immer alles verständlich und langsam.
7. Was würdest du jemandem raten, der neu nach Deutschland kommt?
Mein Tipp ist: Als erstes gut Deutsch lernen weil man dann Kontakt haben kann mit Deutschen und alles verstehen kann. Mein zweiter Tipp ist: Deutschland als neue Heimat annehmen. Dafür ist es wichtig Freunde zu finden. Deswegen bin ich aktiv auf Leute zugegangen. Zum Beispiel in einer Gemeinde oder einem Verein kann man gut neue Menschen kennenlernen.
Interview vom Juli 2021

Doris Köhncke, Leiterin des FIZ, im Gespräch mit Hanne Braun, seit 60 Jahren im VIJ aktiv
Liebe Hanne, Deine Mutter, Ruth Braun, war von 1958 bis 1992 Vorstandsfrau im VIJ. Wolltest Du deshalb auch beim VIJ mitmachen oder Dich lieber mal von der Mutter abgrenzen?
Hanne Braun (HB): Mich hat die Arbeit des VIJ fasziniert. Auf dem Mädchengymnasium lernte ich Französisch und Englisch, obwohl mich Altgriechisch viel mehr interessiert hätte, denn die griechische Kultur, der Humanismus und die Theologie prägten mich in meinem Umfeld. Das Griechische konnte ich dann im VIJ erleben, denn 1962 ging es im VIJ los mit den griechischen Gastarbeiterinnen, die als Pflegekräfte nach Deutschland kamen. Meine Mutter holte sie freitags im Internationalen Clubheim zusammen. Ich war 20 Jahre alt, spielte Gitarre und bastelte mit den Frauen.
Nach meinem Besuch der höheren Fachschule für Sozialarbeit in Ludwigsburg musste ich 1969 ein Praktikum machen. Das erste halbe Jahr war ich beim Sozialamt in Esslingen, das zweite Praktikum machte ich im VIJ, erstmal im Mädchenwohnheim, dann im Club, dem ich bis zum Schluss treu geblieben bin. Mit meiner Mutter hatte ich gar nicht so viel zu tun. Sie machte ihre Aufgaben in der Moserstraße, ich meine in im Internationalen Club in der Urbanstraße.
Und dann begann Dein Berufsleben im VIJ?
H.B.: Ja, nach dem Praktikum wurde ich im VIJ angestellt und leitete den Club. Es gab immer internationale und vor allem interkulturelle Kontakte. Wir organisierten Theaterstücke, Filmabende, Musik und begannen mit einem Deutschkurs für junge Griechinnen der zweiten Gastarbeiterinnen-Generation. Solche Deutschkurse bietet der VIJ bis heute an – wenn auch in veränderter Form.
Wir organisierten Angebote für Au-Pairs und für griechische Frauen. Wir fingen mit Beratung junger Griechen an, die beim Jugendgericht Termine hatten und später Arbeitsauflagen im Club ableisten mussten. Damit begann Jugendsozialarbeit zusammen mit den ausländischen Eltern.
Wir waren mächtig vernetzt, mit der Stadt, der Diakonie, den Migrationsdiensten, dem Jugendamt und auch dem Arbeitsamt. Ich habe immer die Vernetzung gesucht, das war mir wichtig.
Die Evangelische Frauenarbeit bot Erholungswochen für die griechischen Gastarbeiterinnen an, die der VIJ durchführte. 20 Jahre habe ich dabei mit einer griechischen Kollegin Informationen zu Rente, Gesundheit und Sexualkunde, Ernährung und Glauben angeboten. Höhepunkt war die Einladung zu einem Kaffeenachmittag mit einer Gruppe deutscher, evangelischer Frauen. Diese Begegnungen und diese Erholungswochen wurden legendär.
Ich konnte zusammen mit anderen auch einiges im Bereich Frauenpolitik und Frauenförderung auf den Weg bringen, z.B., dass Frauen und Frauengruppen bei bestimmten Veranstaltungen präsent waren, oder bei der Gründung der AG Mädchenarbeit mit der Entwicklung von Leitlinien zur Förderung von Mädchen.
Du bist auch dem YWCA eng verbunden (Young Women´s Christian Association – Weltbund christlicher Frauen) – wie kam das?
H.B.: Das Dritte Reich verbot alle Frauenbünde. Auch beim VIJ wurde das Gebäude enteignet, alles geschlossen und unsere Daten vernichtet. Nach dem Krieg gab es also erstmal nichts. Der VIJ begann 1949 dann (damals noch als der Verein der Freundinnen junger Mädchen) mit der Bahnhofsmission, 1952 mit dem Mädchenwohnheim und der Beratung für Au-pairs und Auswanderer sowie mit dem Club. Dafür benötigten wir dringend wieder unsere internationalen Verbindungen. Der Weltbund christlicher Frauen, der World YWCA, versuchte ebenso, seine Verbindungen in Deutschland wieder aufzunehmen. Die evangelischen Jugendverbände hatten sich aus Gründen der Co-Edukation zusammengeschlossen, und so wurden die internationalen Frauenbelange von den Evangelischen Frauen in Deutschland und dem VIJ weitergeführt. 2004 gründete sich unter der Federführung des VIJ der „German YWCA – Weltbund christlicher Frauen in Deutschland e.V.“
Du warst für den YWCA auch international unterwegs?
H.B.: 1979 wurde ich für acht Jahre in den Weltvorstand des YWCA gewählt und fuhr regelmäßig nach Genf zur Vorstandssitzung. Ich war im Finanzausschuss, im Ausschuss für Entwicklungspolitik und gemeinsam mit einer Inderin leitete ich den Wahl- und Nominierungs-Ausschuss. Das war eine interessante, aufregende und ermutigende Zeit. Ich lernte Frauen aus aller Welt auf vielen Welt- Konferenzen kennen. Zusammen konnten wir neue Möglichkeiten vor allem für junge Frauen schaffen. Für diese weltweiten Erfahrungen wurde ich in den Vorstand der EZE, Evangelischen Zentrale für Entwicklungshilfe, berufen und konnte dort die Sache der Frauen vertreten.
Wie engagierst Du Dich zur Zeit im VIJ?
H.B.: 2004, mit 62 Jahren, ging ich in Rente. Der Verein war finanziell in einer schlechten Position, denn die Finanzierung der Migrant*innen-Arbeit lief anteilig zu 50% über das Land und zu 50% über den Bund. Doch Baden-Württemberg kürzte auf 30%, was der Bund noch akzeptierte, aber dann wollte Ministerpräsident Teufel nur noch 25% geben und damit stieg der Bund aus. 118.000 Euro fehlten uns! Ich und eine Kollegin konnten damals mit vollem Rentenbezug in Rente gehen und taten dies, um den Verein zu entlasten. Wir machten dann ehrenamtlich weiter.
Zur Zeit engagiere ich mich noch in der Betreuung der Mitglieder, z.B. mit Geburtstagsgrüßen, und im Knüpfen von Beziehungen, mit Catering, beim Organisieren des Kleiderverkaufs oder sonst mit praktischem Anpacken, wenn Not an der Frau ist.
Was ist für Dich das Besondere am VIJ?
H.B.: Das Motto des VIJ war ja: Du hast eine Freundin in der weiten Welt. Das hat mich schon immer fasziniert. Du kommst in Indien am Flughafen an, blickst in 3.000 Gesichter, jeder will Dir Deinen Koffer tragen helfen – und wo sollst du jetzt hin? Aber Du weißt, dass irgendwo eine Frau mit YWCA-Wimpel steht und Dich erwartet. Du hast es gut, Du hast eine Freundin überall!
Das Besondere am VIJ ist für mich die Vernetzung mit Frauen und Institutionen, die wirklich funktioniert – lokal, regional, bundesweit und international. Mir war die grenzübergreifende Sozialarbeit für Frauen immer wichtig – das hätten wir noch viel mehr tun müssen, z.B. zur Mitgliederversammlung mal eine Französin oder Schweizerin einladen … oder Englisch-Kurse anbieten und dann mit den Teilnehmerinnen in ein Land fahren, wo sie Englisch sprechen müssen und den weiten Horizont erleben …. Ich hatte so viele beeindruckende Begegnungen mit Frauen aus aller Welt, das würde ich vielen anderen auch gönnen!
Was wünscht Du dem VIJ?
H.B.: Ich wünsche dem VIJ, dass er seinen Zielen treu bleibt und sie immer wieder erneuert: Menschen, insbesondere Frauen, in ein gleichberechtigtes, menschenwürdiges Leben zu begleiten. Empowerment nennt man das heute!
Danke, liebe Hanne, für das Gespräch!
Gespräch vom April 2021

Von Anfang November bis Ende Januar sammelte die Master-Studentin Hannah González Volz praktische Erfahrungen in der Migrationsberatung für Erwachsene (MBE). Für insgesamt drei Monate wurde sie von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe für das Praktikum freigestellt, um einen Einblick in die Arbeit einer sozialen Einrichtung zu bekommen und die dort betreuten Menschen, ihre Lebenssituation und Bedürfnisse im direkten Kontakt kennenzulernen.
Wie kam es, dass du dich gerade für die MBE als Praktikumsort entschieden hast?
Ich habe mich für die MBE als Praktikumsort entschieden, weil ich gerne Einblicke in die Soziale Arbeit und dabei insbesondere in die Arbeit mit Migrant*innen erhalten wollte. Ich komme aus dem geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich und wollte daher gerne sehen, ob die praktische, alltagsnahe, sozialpädagogische Unterstützung von Migrant*innen ein Bereich ist, in dem ich nach Abschluss meines Masters gerne arbeiten würde.
Welche Eindrücke waren für dich besonders wichtig?
Besonders beeindruckt hat mich, mit welchen Problemen manche Klient*innen sich tagtäglich auseinandersetzen müssen. Verzwickte, zum Teil existentielle Notlagen, etwa weil soziale Leistungen erst sehr spät gezahlt werden, Klient*innen ihren Arbeitsplatz in der Corona-Pandemie verloren haben oder sie seit Jahren keine Wohnung für ihre Familie finden. Für viele Ratsuchende ist die Migrationsberatung die einzige oder erste Anlaufstelle, bei der ihnen bei ihren Anliegen oder Problem Unterstützung gewährt werden kann.
Und wie sieht dein Arbeitstag in der MBE aus?
Ich war täglich bei Beratungen mit dabei und habe die Beraterin bei der Vor- und Nachbereitung der Beratungen unterstützt. Das heißt, ich habe beispielsweise für die Klient*innen bei verschiedenen Behörden und Ämtern oder anderen Beratungsstellen angerufen und Dinge geklärt oder in Erfahrung gebracht. Manchmal habe ich die Beraterin bei der Recherche bestimmter Gesetze unterstützt oder Klient*innen bei der Job- und Wohnungssuche geholfen. Während der Beratungen habe ich auch beim Ausfüllen von Anträgen auf soziale Leistungen geholfen.
Was wirst du aus deiner Praktikumszeit mitnehmen, gibt es etwas, von dem du denkst, dass es dir auch in Zukunft bei deiner Arbeit weiterhelfen wird?
Mitnehmen werde ich auf jeden Fall ein deutlich größeres Wissen über das deutsche Sozialrecht, die verschiedenen Ämter, die verschiedenen Leistungen und wie und wann jemand Anspruch darauf hat. Das wird mir sowohl privat als auch in potenziellen zukünftigen Beratungen von Nutzen sein. Zudem hat mir der Kontakt mit den Ratsuchenden auch geholfen, klarer zu sehen mit welchen Problemen sie konfrontiert sein können. Was ich auch wirklich sehr hilfreich fand, war einen Überblick über die verschiedenen Beratungsstellen- und Unterstützungsangebote für Migrant*innen in Stuttgart zu bekommen.
Liebe Hannah, vielen Dank für deine tatkräftige Unterstützung. Wir wünschen dir alles Gute für deine Zukunft!
Interview vom Januar 2021

Sylvia Nölke, Praktikantin im FIZ
Seit Mitte Juli sammelt die junge Vikarin Sylvia Nölke praktische Erfahrungen im Fraueninformationszentrum FIZ. Für insgesamt acht Wochen wurde sie von ihrer evangelischen Kirchengemeinde für das Praktikum freigestellt, um einen Einblick in die Arbeit einer sozialen Einrichtung zu bekommen und die dort betreuten Menschen, ihre Lebenssituation und Bedürfnisse in direktem Kontakt kennenzulernen.
Es ist schade, dass die Zeit im FIZ schon bald zu Ende geht. Jetzt habe ich mich gerade etwas eingearbeitet.
Wie kam es, dass du dich gerade für das FIZ als Praktikumsort entschieden hast?
Ich hatte bereits nach meinem Studium Kontakt zu einer Stuttgarter Einrichtung, die sich mit dem Thema Prostitution beschäftigt. Da lag es für mich nahe, dieses Thema zu vertiefen. Und über die Aktivitäten des FIZ habe ich über das Internet erfahren. Mir gefiel die Vielseitigkeit der FIZ-Arbeit und ich wurde neugierig, wie und mit welchen Methoden die Mitarbeiterinnen die sehr sensiblen Fragen und Probleme der Frauen in der Beratung aufgreifen.
Welche Eindrücke waren für dich bisher besonders wichtig?
Ich war wirklich sehr überrascht, wie viel in der Beratungsstelle los ist. Es kommen viele neue Anfragen und es finden ständig Beratungs- und Krisengespräche statt. Während des Lock-Downs nur telefonisch, aber inzwischen auch wieder in Präsensform.
Und wie sieht dein Arbeitstag im FIZ aus?
Ich habe an verschiedenen Beratungsgesprächen teilgenommen, habe Frauen zur Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit begleitet und darf in den nächsten Tagen sogar an einer Verhandlung beim Verwaltungsgericht teilnehmen. Natürlich geht es auch um Hilfe beim Ausfüllen von Formularen und um Unterstützung bei Behördenbriefen.
Was wirst du aus deiner Praktikumszeit mitnehmen, gibt es etwas, von dem du denkst, dass es dir auch in Zukunft bei deiner Arbeit weiterhelfen wird?
Auf jeden Fall. Ich habe einiges an Wissen erworben, das mir auch in der Arbeit in einer Kirchengemeinde nützlich sein kann, zum Beispiel habe ich viel über die Netzwerke der Beratungsstellen und Organisationen erfahren, die es im Bereich Menschenhandel und Zwangsprostitution gibt. Aber vor allem habe ich einen neuen Blickwinkel auf die Lebenssituation, die Sorgen und Ängste von geflüchteten und von sexuell ausgebeuteten Frauen bekommen. Es ist etwas völlig anderes, ob man eine Geschichte in der Zeitung liest oder ob dir eine Frau gegenüber sitzt und sie dir ihre ganz persönlichen Erlebnisse schildert. Diese Eindrücke bleiben und werden mir auch künftig helfen, Menschen, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, besser zu verstehen.
Liebe Sylvia Nölke, vielen Dank für das Gespräch!
Interview vom September 2020